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EuGH zu Massenentlassungen:
Fehlende oder fehlerhafte Anzeige
Kündigungen weiter in der Schwebe

veröffentlicht am 31.10.2025 - Rechtsanwältin Mihriban Bircan-Paul

Urteile vom 30.10.2025 (C-134/24 – Tomann und C-402/24 – Sewel)

Mit zwei aktuellen Entscheidungen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) klargestellt: Eine Kündigung im Rahmen einer Massenentlassung kann nur wirksam werden, wenn zuvor die  Massenentlassungsanzeige korrekt und vollständig erstattet wurde. Allerdings: Die Frage der Sanktion bei Verstößen bleibt offen und genau hier liegt die Brisanz für Arbeitgeber und Insolvenzverwalter.

1. Hintergrund: Zwei BAG-Vorlagen, zwei Richtungen, eine zentrale Frage

In Deutschland war lange umstritten, welche Folgen eine fehlerhafte oder gänzlich unterbliebene Massenentlassungsanzeige hat. Beide Senate legten daher im Jahr 2024 nahezu identische Fragen dem EuGH vor:

2. Kernaussagen des EuGH: Keine Kündigung ohne ordnungsgemäße Anzeige

a) Rechtssache Tomann – keine „nachholbare“ Anzeige

Der EuGH stellt klar:
Eine Kündigung wird erst nach Ablauf der 30-Tage-Sperrfrist gemäß Art. 4 Abs. 1 MERL wirksam – und diese Frist setzt eine Anzeige zwingend voraus.

Eine nachträgliche Heilung einer unterbliebenen Anzeige lehnt der EuGH ab. Die unionsrechtliche Reihenfolge – Konsultation → Anzeige → Kündigung – ist zwingend einzuhalten.
Ohne Anzeige kann die Kündigung nicht wirksam werden.
Allerdings überlässt der EuGH den Mitgliedstaaten, welche Sanktionen sie bei Verstößen vorsehen – solange der Schutzzweck der Richtlinie effektiv umgesetzt wird.

b) Rechtssache Sewel – fehlerhafte Anzeige wahrt Schutzzweck nicht

Auch eine fehlerhafte oder unvollständige Anzeige genügt nicht, selbst wenn die Agentur für Arbeit sie nicht beanstandet.

Der Zweck der Richtlinie, der Behörde die Prüfung von Alternativen zu Entlassungen zu ermöglichen, wird so nicht erfüllt.

Ein Arbeitgeber kann sich also nicht darauf berufen, die Behörde habe trotz Mängeln keine Einwände erhoben.
Die unionsrechtliche Pflicht zur vollständigen und korrekten Anzeige bleibt bestehen.

Offen bleibt, welche Sanktion nationale Gerichte künftig anwenden sollen:
Eine bloße Hemmung der 30-Tage-Frist reicht laut EuGH nicht aus, um die Wirksamkeit der Richtlinie zu sichern.

3. Mögliche Folgen: Zwischen Nichtigkeit und schwebender Unwirksamkeit

Bislang galt in Deutschland:
Eine fehlende Anzeige führt zur Nichtigkeit der Kündigung ex tunc. Sie ist von Anfang an unwirksam.

Der EuGH öffnet hier nun einen Interpretationsspielraum:
Das würde bedeuten: Eine Kündigung wäre zunächst unwirksam, könnte aber nach ordnungsgemäßer Nachholung der Anzeige „heilen“ ohne die ganze Massenentlassung wiederholen zu müssen.
Ob das BAG diesen Weg gehen wird, bleibt offen.

4. Konsequenzen für Arbeitgeber und Insolvenzverwalter

Für die Praxis gilt:
Bis zur endgültigen Klärung durch das BAG besteht erhöhte Compliance-Pflicht.

Unternehmen sollten sicherstellen: Gerade in Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren kann ein Formfehler in der Anzeige ganze Kündigungswellen rechtlich infrage stellen.

5. Fazit von ETIQUE Legal

Der EuGH zieht die Zügel für Arbeitgeber deutlich an:
Fehlerhafte oder unterlassene Massenentlassungsanzeigen gefährden die Wirksamkeit jeder Kündigung – und zwar unabhängig davon, ob die Agentur für Arbeit eingeschritten ist.

Bis zur endgültigen Entscheidung des BAG gilt:
➡️ Jede Massenentlassung muss unionsrechtskonform vorbereitet werden.
➡️ Konsultation, Anzeige, Kündigung diese Reihenfolge ist nicht verhandelbar.
ETIQUE Legal unterstützt Unternehmen, HR-Abteilungen und Insolvenzverwalter  bei der rechtskonformen Planung und Umsetzung von Restrukturierungen, einschließlich der vollständigen Anzeige- und Konsultationsverfahren nach § 17 KSchG und MERL.

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ETIQUE Legal – Rechtsanwältin Bircan-Paul als Expertin für Arbeitsrecht auf Arbeitgeberseite.

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